Kohlhaas Orgel 002

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09.01.2012 - Vox humana – Stimme des „erbärmlichen“ Menschen

Zum letzten Mal hatten die Besucher aus Rheinhessen kürzlich die Gelegenheit, die Großwinternheimer Kohlhaas-Orgel im Werkstattaufbau zu begutachten. Gut drei Dutzend Interessenten aus Großwinternheim, Stadecken-Elsheim, Wallertheim, Obersaulheim, Gundheim und Gau-Bickelheim waren nach Merxheim an der Nahe gereist, um das restaurierte Instrument in Augenschein zu nehmen. Inzwischen ist die Orgel fast komplett aufgebaut: alle etwa 1500 Pfeifen der über 20 Manualregister haben ihren Platz im Orgelgehäuse gefunden, lediglich die großen, gewaltigen Pedalpfeifen müssen noch aufgepasst werden. Orgelbaumeister Rainer Müller hatte sich an diesem Abend viel Zeit genommen, um den Gästen den Aufbau ausführlich zu erläutern. Inzwischen ist die Prospektfront, die Schauseite, einschließlich der kunstvollen Schnitzarbeiten wieder komplett hergestellt, fehlende Stücke wurden ergänzt und eingepasst. Die farblichen Fassungen werden dann vor Ort durch einen Fassmaler und Farbrestaurator Karl Günter Rohr erfolgen, denn es könnte beim Aufbau zu neuen Beschädigungen kommen. Die Trakturteile sind passgenau vorbereitet und montiert. Besonderes Interesse fanden die neu rekonstruierten Zungenpfeifen. Die mächtigen Trompetenbecher auf der Hauptwerkslade dominieren den Blick von hinten in das Orgelinnere. Darunter im Unterwerk stehen die etwas kleineren Klangkörper des Registers Vox humana (= menschliche Stimme); sie fallen durch ihre spezielle Bauweise auf. Wie Herr Müller erläuterte, stehen beiden Register in der Barockzeit in einem besonderen Zusammenhang: Oben steht die kraftvolle Trompete als Symbol des allmächtigen Gottes und unten duckt sich klein und bescheiden die Vox humana als Ausdruck des erbärmlichen Menschen. Der Organologe Pfarrer Klaus Scheuermann und der Orgelsachverständige Dr. Hajo Stenger schilderten ihre Nachforschungen zur Rekonstruktion dieser beiden Zungenregister. In der Zeit der Neoromantik im 19. Jahrhundert hatte man die hässlich quäkenden Pfeifen der Vox humana vielfach aus den Kirchenorgeln verbannt, weil sie wenig der Erbauung der Gläubigen dienten. Daher gab es auch kaum Vorbilder für die Rekonstruktion dieses Pfeifenwerkes. In der berühmten Gabler-Orgel in Weingarten findet sich ein solches Register, das zu allerlei Legendenbildungen angeregt hatte. Heute gibt es in Süddeutschland einen Orgelbaumeister, der sich auf die Rekonstruktion dieses alten Registers spezialisiert hat. Scheuermann und Stenger besuchten diesen und erörterten mit ihm seine Forschungsergebnisse, die sich bereits in der Chororgel des Speyrer Doms niedergeschlagen hatten. Nach dem Abhören dieses einzigartigen Klanges war man sich einige, dass dieser auch für Großwinternheim optimal passen würde. Und so wird dann demnächst im Selztal die Vox humana als Nachahmung der menschlichen Stimme zur Erbauung der Zuhörer ertönen.

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